Die Kommunalpolitik ist wie die Hochschulpolitik: Die Menschen, die sie betreiben, halten sich selbst und ihre Arbeit für äußert wichtig und unersetzlich. Wirklich ernst genommen wird sie aber nur von den Politikerinnen und Politikern, die sich zufällig auch im gleichen Mikrokosmos bewegen, und einen ähnlichen Geltungsdrang besitzen. Um diesem Dilemma zu entgehen und zahlreiche Profilneurosen zu befriedigen, haben sich rund 3.400 Kommunen im schönen Verband mit dem noch schöneren Namen „Deutscher Städtetag“1 zusammengeschlossen. Sinn und Zweck dieser Institution sind bis heute schleierhaft. So gibt sich kein Präsident des kommunalen Spitzenverbandes auch nur ansatzweise der Illusion hin, dass sein Wort auch nur ansatzweise von irgendeinem Mitglied der Bundesregierung ernstgenommen würde. Die Möglichkeit, alle zwei Jahre irgendwo in einer mittelgroßen Stadt eine Hauptversammlung auszurichten, bei der man sich selbst feiert und es sich auf Kosten der Steuerzahler der gastgebenden Stadt gut gehen lässt.
Die Vorteile einer solchen Hauptversammlung liegen auf der Hand: Nachbarschaftstreitereien, wie es sie beispielsweise zwischen Köln und Düsseldorf, Villingen und Schwenningen, Frankfurt und Offenbach oder Berlin und dem Rest der Republik gibt, können auf neutralem Grund fortgeführt werden. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer haben die Chance, den warmen Worten der Bundeskanzlerin oder eines Heimatministers zu lauschen, während ausländisch aussehende Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus “Sicherheitsgründen“ den Saal verlassen müssen. Oder man fühlt sich wie zu Hause, wenn man seinen Oberbürgermeister beobachtet, wie er im Präsidium sitzend lieber die örtliche Tageszeitung goutiert, anstatt den Worten bundespolitischer Spitzenpolitiker zu lauschen. Hauptsache man bleibt auch dort wie bei einer Klassenfahrt mit all jenen Menschen zusammen, mit denen man sich auch sonst das ganze Jahr in einen Plenarsaal (auf dem Dorf auch wahlweise Feuerwehrhaus/ Multifunktionshalle/ Schulaula) der Kreis- oder Regionalversammlung eingesperrt ist.
Der Deutsche Städtetag ist der ideale Anlass, um aus Steuermitteln finanziert in überteuerten Vier-Sterne-Hotels zu residieren. Die Gelegenheit politische Hinterzimmergespräche mit (Achtung: Ironie!) extrem wichtigen Lokalpolitikern vorzutäuschen, um die persönliche Streetcredibility im Heimatparlament zu steigern. Freitrinken, Freiessen – der Städtetag ist in der Regel auf dem Messegelände der ausrichtenden Stadt, und so essen und trinken sich die Herren und Damen Kommunalpolitiker durch die verschiedensten Stände: Erinnert Euch an EDEKA und den Pulled Pork Burger, wenn im Neubaugebiet ein Nahversorger gesucht wird. Der Tante-Emma-Laden an der Ecke musste nach 35 Jahren schließen? Bei REWE gab es doch diesen leckeren veganen Quinoa-Salat. Deine örtliche Brauerei erhöht schon wieder die Pacht für das Wasserhäuschen um die Ecke? Boykott! Ab sofort nur noch 30167 Pils, das ungefilterte Pils der „Nordstadt braut!“ eG. 2
Die Hauptversammlung des Deutschen Städtetages – der einzige Tag, an dem sich die Lobbyisten auch für armselige Kommunalpolitiker interessieren.
1 Als Symbol des Verbands „Deutscher Städtetag“, der 1905 in Berlin bei Polen gegründet wurde, wurde nicht ohne Grund das Holstentor gewählt. Zum einen tranken die Gründungsväter*innen des Deutschen Städtetages mit großer Vorliebe Bier der Lübecker Brauerei „Lück“, deren Produktion sich auf über 70.000 Hektoliter pro Jahr belief und ihr Bier, welches auf dem Etikett ebenfalls das Holstentor zierte, mit dem Werbeslogan „Ein Bier. Eine Stadt. Eine Tradition.“ bewarb. Die Produktion des Bieres musste im Jahr 1988 bedauerlicherweise eingestellt werden. Zu diesem Zeitpunkt beschäftigte die Brauerei circa 86 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, was für eine geschätzte Zahl schon außergewöhnlich genau ist. Außerdem berücksichtigten die Gründerväter*innen des Deutschen Städtetages, dass Lübeck historisch gesehen schon immer eine besondere Rolle zukam: Dies ist zum einen durch die geographische Nähe zum Timmendorfer Strand begründet, zum anderen wurde Lübeck zur Hauptstadt der Grauen Bewegung, als dort mit Bastian
Langbehn erstmals ein Mitglied der Partei Die PARTEI durch einen demokratischen Wahlakt in ein deutsches Parlament
einziehen konnte.
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